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Ruine "Kraftwerk Vogelsang"


Schaubild Einheitskraftwerk
Schaubild Einheitskraftwerk
Schröder: Kraftwerksatlas (1959)

Chronik vom Kraftwerk Vogelsang

Der 2. Weltkrieg erforderte für die Ostfront immer größere und stärkere Anstrengungen in der Rüstungsproduktion. Diese bedingte wiederum eine höhere Elektro-Energieerzeugung. So ergab sich die Notwendigkeit, bestehende Kraftwerke kapazitätsmäßig zu erweitern und neue zu bauen. Ein solches entstand damals auch bei Fürstenberg(Oder).
Herr Bernhard Lehmann aus Vogelsang entnahm die folgende wissenschaftliche Dokumentation über dieses Kraftwerk der Schrift "Braunkohlenverstromung im Lausitzer Revier" dem Band 10, den Seiten 119/121, von Dr. Dieter Kahl u.a., vom "Förderverein Kulturlandschaft Niederlausitz e.V.". Dieses Werk ist urheberlich geschützt. Die Zustimmung wurde vom Verfasser persönlich und schriftlich eingeholt.

Lageplan Einheitskraftwerk
Lageplan Einheitskraftwerk
Schröder: Kraftwerksatlas (1959)
Der Standort Fürstenberg (Oder)

Fürstenberg an der Oder ist heute ein Stadtteil von Eisenhüttenstadt. Bereits in den Jahren 1940 bis 1945 des Zweiten Weltkrieges hatten sich Großkonzerne mit Rüstungsbetrieben im Gebiet von Fürstenberg (Oder) angesiedelt. Da ist vor allem der DEGUSSA-Konzern zu nennen, der Vorprodukte für Sprengstoffe herstellen wollte. Weitere Betriebe waren Rheinmetall-Borsig und Focke-Wulf. Deshalb beschloß die Märkische Energie-Aktiengesellschaft (MEW AG) ein weiteres Großkraftwerk an der Oder am Stadtrand von Fürstenberg(Oder) zu errichten. Dazu sollte die betriebseigene Braunkohlenförderung durch Aufschluß neuer Gruben erweitert werden. Zunächst sollte jedoch das Kohlenfeld in der Gemarkung Vogelsang unmittelbar am Kraftwerksstandort aufgeschlossen werden. Dazu wurde 1940-41 der Schacht "Vogelsang" abgeteuft, zu einer regulären Förderung kam es aber nicht.
In den Kriegsjahren waren Arbeitskräfte für den Aufbau solcher Großobjekte meist aus besetzten Ländern verschleppte Menschen, Fremdarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Bereits 1939 wurde ein Lager für Kriegsgefangene (M Stalag III B) für 10.000 Mann eingerichtet. Außerdem betrieb die DEGUSSA noch zwei und das MEW ein Zwangsarbeitslager am Werksgelände. Die Lebensbedingungen in den Lagern und die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen waren unmenschlich.

Technische Konzeption des Kraftwerks
Grundriss Einheitskraftwerk
Grundriss Einheitskraftwerk
Schröder: Kraftwerksatlas (1959)
Maschinensaal Kraftwerk Vogelsang
Maschinensaal mit den beiden
Vorschaltmaschinen (links) und den
Kondensationsturbosätzen (rechts)
Kraftwerk Ost-Hannover (1954)

Geplant war das Kraftwerk mit vier Blöcken mit je 75MW, erichtet in zwei Etappen als Halbwerke. Jeder Block verfügte über zwei Dampfkressel je 145t/h bei 125 at/500°C Dampfparametern. Nach Durchgang durch die 25MW-Vorschaltmaschine wurde der Dampf dem Kessel wieder zugeführt, dort auf Frischdampftemperatur (450°C) zwischenüberhitzt und auf die 50MW-Kondensationsturbinen geleitet. Nach Entspannung des Dampfes in den Nachschaltturbinen erfolgte seine Kondensation in den Kondensatoren, die wiederum mit Kühlwasser aus der Oder betrieben werden sollten. Zu dem wurde das noch heute vorhandenes Einlaufbecken angelegt. Das Kraftwerk Vogelsang war im "Wärmekraft-Sofortprogramm" eines der drei Einheitskraftwerke. Bei den Einheitskraftwerken handlte es sich um ein Projekt, wonach zur NS-Zeit im 2.Weltkrieg zeichnungsgleiche Kraftwerke errichtet werden sollten. Die Kondensationsturbine 48,2MW
Die Kondensationsturbine 48,2MW
Kraftwerk Ost-Hannover (1954)
In der Lausitz ist in den 1940er Jahren in Berzdorf, Trattendorf und Vogelsang mit dem Bau begonnen worden. Vogelsang hatte zum Kriegsende den gröten Baufortschritt. Während die beiden anderen Kraftwerke nach dem Krieg fertig gebaut und als KW Hagenwerder I und KW Trattendorf I bis in die 1990er Jahre betrieben wurden, ist das Schicksal vom Kraftwerk Vogelsang bekannt.

Aufbau des Kraftwerks
Querschnitt Einheitskraftwerk Vogelsang
Querschnitt Einheitskraftwerk
Schröder: Kraftwerksatlas (1959)

Der Baubeginn für das Kraftwerk war am 01. April 1943. Vorbereitende Maßnahmen und die Errichtung von Nebenanlagen begannen jedoch schon 1941. Da der Bau in Fürstenberg(O), wie auch an den anderen Objekten, kriegsbedingt fast ausschließlich durch Zwangsarbeiter erfolgen mußte, waren Probleme im Bauablauf vorprogrammiert. Dabei handelte es sich um nicht entsprechend qualifizierte und ungeeignete Kräfte. Dazu kam noch ihre menschenunwürdige Behandlung, die sich demotivierend auf ihre Einstellung zur Arbeit auswirkte. Dennoch wurde der Baukörper innerhalb eines Jahres geschaffen. Da das Bautempo nicht befriedigte wurde befohlen, bei Luftangriffen weiter zu arbeiten. 1944 begann die Montage von Kesseln und Maschinen. Die Zieltermine für die Inbetriebnahme des ersten 75MW-Blockes am 01.10.1944 konnte nicht gehalten werden. Später verschob man ihn auf den 31.01 1945. Ein Zeitzeuge berichtet darüber, dass die Schaltwarte Ende 1944 fertiggestellt und funktionstüchtig war. Ab Oktober 1944 befand sich ein Anfahrstab aus dem benachbarten MEW-Kraftwerk Finkenheerd in Vogelsang. Im Januar 1945 sollten dann auch Funktionsproben an Maschinensystemen durchgeführt worden sein. Da nach Aussagen von Zeitzeugen kein Kohlenfeuer in den Kesseln gezündet wurde, könnte es sich hier im Versuch um die Verwendung von Baustrom gehandelt haben.

Ende des Kraftwerks
Luftbild 10.02.1945
Luftbild vom 10.02.1945
© Herder-Institut Marburg

Am 1. Februar 1945 konnten vom Dach des Kraftwerks bereits die ersten anrückenden sowjetischen Panzer gesichtet werden. In den Lebenserinnerungen des Elektromeisters KARL SCHIECHE heißt es dazu:
"Am nächsten Tag ging ich wie immer zum Kraftwerk Vogelsang, denn dort war ja meine Arbeitsstelle. Am Vormittag nahm ich ein Fernglas und stieg auf den höchsten Punkt des Kraftwerksgebäudes. Ich sah wie sich Flugzeugjäger auf Panzer stürzten. Vermutlich sind hiermit Erdkampfjäger gemeint, die man zur Panzerbekämpfung einsetzte. (Der Verfasser!) Das Geschehen war in Aurith an der Oder. Was nun überlegte ich? Ich habe zu keinem darüber gesprochen und begab mich zum Direktor Stange. Wenn es soweit ist, müßten uns doch die oberen Organe auch was wissen lassen. Wir gingen gemeinsam auf das Dach und sahen beide dasselbe, wie ich zuvor. Wir besprachen die Lage und waren übereingekommen: sowjetischer Behelfsbruecke
Sowjetische Behelfsbrücke 07.04.1945
© Herder-Institut Marburg
Erstens die Belegschaft zu entlassen, ihnen ihr Geld auszuhändigen, die Familien, die in den Baracken wohnten, zu evakuieren und die Volkssturmmänner zur Kompanie zu beordern. Direktor Stange dankte und sprach: "Wenn wir das so machen, kann uns keiner etwas anhaben. Der Feind steht vor der Tür."
Da die Oder Ende Januar/ Anfang Februar zugefroren war, überwanden die sowjetischen Truppen diese trotz der zuvor erfolgten Sprengung der Fürstenberger Oderbrücke. Am 6.Februar 1945 bildete die 33. sowjetische Armee einen Brückenkopf westlich der Oder und besetzte auch das Kraftwerksgelände. Von deutscher Seite wurden erfolglose, aber für beide Seiten äußerst verlustreiche Versuche zur Beseitigung des Brückenkopfes und zur Rückeroberung des Kraftwerks unternommen und dies sogar noch in der ersten April-Woche des Jahres 1945. Selbst als die sowjetischen Truppen schon in die Vororte von Berlin eindrangen, wurde am Kraftwerk Vogelsang noch gekämpft."

Das Kraftwerk nach 1945

Nach dem Ende des Krieges wurde das Kraftwerk Vogelsang auf Befehl der Sowjetischen Militäradministeration (SMAD) vollständig demontiert. Dabei wurden nicht nur die Maschinen und elektrotechnischen Ausrüstungen sondern auch die Stahlkonstruktionen komplett demontiert und abtransportiert. Zurückgeblieben ist zunächst der in Rohbauzustand zurück versetzte Kraftwerksbau. Während die Bauwerke der ebenfalls demontierten Rüstungsfabriken gesprengt wurden, blieb die Kraftwerksruine stehen, weil eine Sprengung den in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Oderdeich vermutlich beschädigt hätte. In der Folgezeit nutzten die Ortsansässigen die Ruine zur Materialgewinnung. Später wurde der gesamte Komplex als Übungsgelände für Bereitschaftspolizei, Kampfgruppen und Zivilverteidigung genutzt, um Häuserkampf oder Bergung von Personen zu üben.
Im Sommer 1998 schien dann nach 53 Jahren das endgültige Ende der Kraftwerksruine gekommen zu sein, als wegen mangelnder Verkehrssicherheit der Totalabriss begonnen wurde. Fördermittel der EU in Höhe von 2,5 Mio DM standen dafür bereit.
Naturschützer stoppten während der Brutzeit anlaufende Abbrucharbeiten. In der relativen Abgeschiedenheit der Kraftwerksruine hatte sich ein wertvolles Biotop entwickelt, welches Höhlenbrütern, Turmfalken und Fledermäusen Lebensraum bot. Zwischenzeitlich wies man per Gerichtsbeschluß dem Land Brandenburg das Objekt zu. Bis heute steht die Forderung nach Abriss konträr der zur Erhaltung als Biotop entgegen.
Hinzu kam in den letzten Jahren die Idee, die Kraftwerksruine als Denkmal zu erhalten und in geeigneter Weise auch zu nutzen. Da die Kraftwerke Ost-Hannover, Hagenwerder 1 und Trattendorf 1 komplett beseitigt wurden, ist "Vogelsang" der einzige Sachzeuge eines Kraftwerkstyps, welcher unter den Bedingungen des "Totalen Krieges" zur Beseitigung des Strommangels dienen sollte. Wie wir heute wissen, war dies ein vergeblicher Versuch.
Unbestreitbar ist jedoch, dass von dem technischen Konzept der "Einheitskraftwerke" maßgebliche Impulse für die Entwicklung der Kraftwerkstechnik ausgingen, die die Planung und Gestaltung von Kohlekraftwerken nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmten und bis heute wirken.

Vogelsang im Oktober 2013

Hinweis von B. Lehmann
Sehen Sie im folgenden die Aufnahmen von der Kraftwerksruine und Berichte von den Kämpfen, von Soldaten und Zeitzeugen in den Abschnitten 1 und 2 "Kraftwerk im Angriff".

Weitere Informationen

Interessantes über das Kraftwerk hat Axel Drieschner und Barbara Schulz in Ihrem Artikel (PDF ca. 1MB) niedergeschrieben.(A4-Blatt PDF ca.0,5MB)
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Zitiert aus: open-access.net, DiPP-Lizenzen,
URL: open-access.net/de/allgemeines/rechtsfragen/lizenzen/dipplizenzen/ (02.02.2010).
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